18 September 2016 16:30 | Teatro Lyrick

Rede von Andrea Riccardi



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Andrea Riccardi

Historiker, Gründer der Gemeinschaft Sant'Egidio
 biografie

Sehr geehrter Herr Präsident der Republik Italien,
sehr geehrter Herr Präsident der Zentralafrikanischen Republik,
Königliche Hoheit, Herr Großherzog von Luxemburg,
Heiligkeit,
sehr geehrte Vertreter der Weltreligionen, liebe Freunde,

ich bin sehr bewegt und froh, heute hier in Assisi zu sein mit vielen Persönlichkeiten der verschiedenen Religionen und des Humanismus. Ich denke an das Treffen vor dreißig Jahren, als sich hier am Horizont der Stadt des Hl. Franziskus eine einfache und zugleich tiefe Vorstellung abzeichnete: die Religionen können zusammenkommen, um sich vor den Augen der Welt den Anfragen des Friedens zu stellen! Das war nicht selbstverständlich. Auch heute ist es das nicht, während religiöser Totalitarismus zur Gewalt und zum Terrorismus wird.
Es war eine einfache und doch neue Tatsache: Es wurde für den Frieden gebetet, nicht mehr Einer gegen den Anderen, wie das Jahrhunderte und vielleicht Jahrtausende lang geschehen war. Johannes Paul II. lud am 27. Oktober 1986 die Religionsoberhäupter nach Assisi ein. Ich erinnere mich an diesen kalten und windigen Tag in Assisi, an dem jedoch ein Licht leuchtete. Man hatte das Gefühl von einem historischen Ereignis.
Es wurden keine Reden und Diskussionen gehalten. Es wurde nur in einer friedfertigen Haltung gebetet: die Einen neben den Anderen im Anliegen für den Frieden. Es war ein unbekanntes Bild, fast eine moderne Ikone: diese Versammlung der Religionsoberhäupter in der Verschiedenheit ihrer traditionellen Gewänder. Dieses Bild war voller Schönheit, sozusagen eine Ästhetik des Dialogs: Das gemeinsame Auftreten bezeugte den eigenen Gläubigen, dass ein Zusammenleben möglich ist und dass die Völker eine einzige große Familie sind. Johannes Paul II. sagte: "Mehr vielleicht als je zuvor in der Geschichte ist die innere Verbindung zwischen einer aufrichtigen religiösen Haltung und dem großen Gut des Friedens allen deutlich geworden."
Diese Verbindung wurde durch Fanatismus oder ideologische Systeme verfinstert. Assisi war keine Anpassung an politische Korrektheit, vielmehr trat eine in den religösen Traditionen verborgene Tiefe zutage, die eine Jahrhunderte alte Verkrustung und in der Geschichte vererbte Feindschaften aufbrachen. Damals herrschte in der Welt trotz einiger zaghafter Signale der Eindruck, dass die gegensätzlichen Blöcke die Welt in Schach setzten und das Gerüst der Welt bildeten. Was sollte ein Gebet da schon bewirken?
In dieser Lage jener Jahre übernahmen die Religionen eine öffentliche Rolle und nahmen Teil an den Beziehungen unter den Völkern. Johannes Paul II. hatte erkannt, dass in ihnen der Friede gestärkt werden müsse, während sie von der Versuchung befreit wurden, sich an den Krieg zu gewöhnen oder ihn zu rechtfertigen. In einer einzigen Geste wurden die Hoffnungen und pionierhaften Anstrengungen derer zusammengefasst, die schon lange zuvor davon geträumt und das erkannt hatten, was nun geschah. Der neue Inhalt von Assisi 1986 stieß auf verärgerte Reaktionen bei Eiferern unter den Christen und den anderen Religionen. Wurde hier nicht auf die unwiederbringliche Originalität der eigenen Identität verzichtet?
Damals gegen Ende der 80er Jahre zogen viele die Schlussfolgerung, Assisi 1986 sei eine Extravaganz des großen Papstes gewesen, der sich mit selbstgefälligen Religionsoberhäuptern umgab, oder es sei vielleicht Nachgiebigkeit gewesen. Die Besserwisser (an denen es in den Religionen und anderswo nie fehlt) gaben den Rat, Assisi 1986 solle ein einmaliges Treffen bleiben ohne Folgegeschichte, sozusagen nur ein verrückter Tag. Es war keine Verrücktheit, sondern Prophetie. Dieser Tag nahm sofort geschichtliche Züge an. Noch wie heute höre ich, wie Papst Wojtyla damals seine Erwartung in laute Worte fasste: "Der Friede wartet auf seine Erbauer... Der Friede ist eine Werkstatt, die allen offen steht."
Für ihn sollte Assisi keine isoliert Angelegenheit bleiben: Die Religionen sollten in freundschaftlicher Begegnung und im Gebet Friedensenergien freisetzen. In Assisi begannen konkrete Wege der Friedensarbeit, an denen politische und religiöse Führer beteiligt waren. Ich erinnere nur an den Friedensschluss von Mosambik, der 1992 einen Bürgerkrieg beendete, in dem eine Millionen Menschen ihr Leben verloren.
Wenige Monate nach dem Treffen sprach Wojtyla erneut eindringlich über das, was dann als "Geist von Assisi" bezeichnet wurde, und sagte: "Dort wurde auf außerordentliche Weise die einzigartige Bedeutung des Gebetes für den Frieden entdeckt. Es ist sogar nicht möglich, Frieden zu erlangen ohne das Gebet." Dann fügte er deutlich hinzu: "Das Gebet aller, jeder mit der eigenen Identität und auf der Suche nach der Wahrheit." Das Gebet aller wird benötigt ohne Ausnahme, ohne dass jemand auf die eigene Identität verzichten muss.
Daher kam die Entscheidung mit meinen Freunden von der Gemeinschaft Sant'Egidio, diese Intuition von Johannes Paul II. ab 1987 fortzusetzen und die Religionsoberhäupter zusammenzubringen. Ich erinnere mich an die Begeisterung von Kardinal Martini beim ersten Treffen in Rom 1987 in Trastevere, das Johannes Paul II. unbedingt unterstützt hat, während er uns bat, den Weg fortzusetzen. Es beeindruckte die Beteiligung vieler Oberhäupter und war ein Zeichen für den tiefen Wunsch der Religionen, aus ihrer begrenzten Welt herauszutreten und sich einem weiteren Horizont zu stellen. Wenige Jahre danach haben wir das dann als die globale Welt bezeichnet.
Die eigene kleine und geschlossene Welt nimmt die Gläubign oft mit der alten Logik der Konflikte gefangen oder mit neuen Fanatismus und Nationalismus. Diese Treffen haben von all diesen Dingen befreit. So haben wir Jahr für Jahr, dreißig Jahre lang, uns weiter getroffen. Währenddessen haben auch die franziskanischen Familien den Geist von Assisi weiter verbreitet und eine geschwisterliche Vision von der Begegnung der Religionen entwickelt. Ich danke daher den franziskanischen Gemeinschaften, dass sie dieses Licht nicht ausgehen ließen. Ebenso danke ich meinen Freunden von Sant'Egidio, die an einen so konkreten Weg geglaubt haben, den man auch als Illusion hätte ansehen können. In dreißig Jahren hat dieser Geist einen Weg zurückgelegt, er hat Geschwisterlichkeit geschaffen, er hat Friedensinitiativen hervorgerufen, er hat das Bewusstsein von der Verbundenheit der verschiedenen Religionsgemeinschaften aufkommen lassen und sich der Benutzung der Religionen für Krieg und Terrorismus entgegengestellt.
Aus dem christlichen Osten wurde dieses Bestreben durch den Ökumenischen Patriarchen Bartholomäus unterstützt, der seit 1992 vom Kreuzungspunkt am Bosporus aus unermüdlich für die Begegnung verschiedener Menschen und Kulturen tätig ist. Ich möchte einen herzlichen Glückwunsch aussprechen, denn in diesem Jahr erfüllt er seinen Dienst am Glauben und am Frieden fünfundzwanzig Jahre lang. Eindeutig hat Batholomäus den Fanatismus entlarvt: "Der Krieg im Namen der Religion ist ein Krieg gegen die Religion." Der Krieg unter den Religionen ist auch mit der Umweltzerstörung verbunden, sagte er. In Neapel sagte er 2007: "Die Gewalt (gegen die Natur) hat Folgen auch auf den Menschen, denn die Natur, der Gewalt angetan wird, rächt sich am gewalttätigen Menschen."
Auf dem dreißigjährigen Weg haben wir uns mit dem Gedenken an die Kriege beschäftigt, mit dem Zweiten Weltkrieg und der Shoah. Ich denke an das Treffen in Warschau am 1. September 1989, fünfzig Jahre nach dem Ausbruch des Weltkriegs in einer spannungsgeladenen Atmosphäre, während ein System zuende ging. Dorthin kamen auch zahlreiche japanische Religionsoberhäupter, die mit den asiatischen Vertretern eine lebendige Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg besitzen. Der Ehrwürdige Eti Yamada hatte schon in Assisi teilgenommen und erinnerte im Alter vierundneunig Jahren daran: "Wir müssen die Ideen des Weltfriedenstages von Assisi verbreiten... auf diese Weise wurde der Geist von Assisi in den Osten gebracht." Japan, das vom Krieg gezeichnet war und teilweise durch rasante Entwicklung über Jahrzehnte hinweg orientierungslos ist, spürte im Geist von Assisi einen wichtigen spirituellen Bezugspunkt.
In den zwei folgenden Jahrzehnten zog der Geist von Assisi durch die globale Welt mit ihren Herausforderungen: die Völker rücken zusammen, aber es treten neue Ängste auf. Er hat sich mit der Angst vor der Geschichte beschäftigt, die heute viele erfasst. Zygmunt Bauman, den ich herzlich begrüße, hat geschrieben: "Die technisch am besten ausgerüstete Generation der gesamten Menschheitsgeschichte - also unsere Generation - ist auch die Generation, die wie keine andere unter Unsicherheit und Ohnmacht leidet." Bauman hat ganz klar die Komplexheit des Humanen dargestellt: seine Person und sein humanistisches Denken bilden nicht erst seit heute einen Bezugspunkt für den Dialog mit Nichtgläubigen, den wir als wesentlich ansehen. Es gibt keine Hegemonie, die in der Lage wäre, eine so zersplitterte und komplexe Welt wie diese globale Welt zusammenzuhalten. Es ist schwer, eine weltweite Regierungsführung umzusetzen. Aber doch wird eine globale und ökumenische Vision benötigt: das Bewusstsein, dass wir eine einzige Menschheit bilden. Die Kunst des Dialogs wird zum Kapital, um Einheit und Verbundenheit aufzubauen, um hervorzuheben, wie viel man gemeinsam besitzt, und um die Verschiedenheit wertzuschätzen. Wer die Kunst des Dialogs beherrscht, betont Bauman, besitzt etwas, "mit dem die Menschheit sich mehr als mit jeder anderen Sache beschäftigen muss, denn die Alternative ist zu schrecklich, auch schon der Gedanke daran." Durch den Dialog wird eine oft zerrissene Welt zusammengeführt und miteinander verbunden.
Friedfertige Religionen sind auch im Bereich des Alltagslebens eine Werkstatt geworden, um den Dialog als Kunst des Zusammenlebens zu pflegen. Sie bekämpfen die schrecklichen materialistischen und ökonomischen Vereinfachungen und auch den Fanatismus. Dialog im Alltagsleben. Ich muss an die aufgewühlte Peripherie von Abidjan vor einigen Jahren denken, wo der Imam, der Pfarrer und der protestantische Pastor der Menge Einhalt geboten, die nach dem Brand einer Moschee losging, um eine Kirche anzuzünden. Dasselbe ist in der Zentralafrikanischen Republik geschehen, wo der Imam, der Pastor und der Bischof von Bangui zwischen sich bekämpfenen ethnischen und religiösen Gruppen Brücken gebaut haben. Auf allen Ebenen gilt: Entweder wir leben zusammen oder wir sterben zusammen.
Viele Male haben wir bei Terrorangriffen oder Konflikten gehört: Welchen Nutzen hat denn euer Dialog? Man könnte sagen: Welchen Nutzen hat denn das Gebet? Doch wie leer wäre die Welt! Wie schrecklich wäre die Welt ohne Dialog und Gebet! Das geheime Gebet erleuchtet die Welt, während der Dialog die Wirklichkeit zusammenhält, die immer in Gefahr ist, durch Hass und Missverständnis gespalten zu werden.
Der Dialog ist die Intelligenz des Zusammenlebens. Diese Kunst wird in einer universalen Welt benötigt, die aus verschiedenen Religionen, Kulturen und Zivilisationen besteht. Nicht eine einzige Kultur, sondern die größere Kultur: die Kultur des Zusammenlebens. An diesem Punkt begegnen sich Nichtgläubige und Gläubige. Wie der französische Präsident Hollande sagte, als er an Emile Poulat, einen guten Freund, bei seiner Bestattung ein Grußwort richtete: "Die Laizität ist keine Doktrin, auch kein Dogma und noch weniger die Religion der Religionslosen. Sie ist die Kunst des Zusammenlebens."
In diesen Jahren sind viele Religionsgemeinschaften zu Orten geworden, an denen der Dialog und das Zusammenleben mit Leben erfüllt wurden. Der Religionswissenschaftler und Begleiter unseres Weges, Pietro Rossano, sagte: "Wenn eine Religion das Beste von sich zum Ausdruck bringt, strebt sie zum Frieden. Wir sind uns bewusst, dass die Religion an und für sich eine schwache Kraft darstellt. Sie besitzt keine Waffen, kein Geld, keine politische Macht... Sie besitzt die Macht des Geistes, der sie stark, unüberwindbar und endlich siegreich sein lässt." Diese Macht des Geistes führt zum friedlichen Zusammenleben. Das alles bestätigt uns in der Notwendigkeit, dass wir alle größeren Mut haben müssen, um eine Friedensbewegung zu schaffen.