24 September 2024 18:00 | Parvis Notre-Dame

Rede von Marco Impagliazzo



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Marco Impagliazzo

Historiker, Präsident der Gemeinschaft Sant’Egidio
 biografie

Es ist eine große Ehre, im Namen der Gemeinschaft Sant'Egidio an diesem für Frankreich und darüber hinaus symbolischen Ort das Wort zu ergreifen. Ich danke Erzbischof Ulrich von Paris sehr herzlich für seine Einladung und dafür, dass er unseren Weg des Dialogs für den Frieden stets unterstützt hat. In diesen Tagen sind wir gemeinsam zum Herzen unserer Glaubenstraditionen und unserer religiösen und humanistischen Weisheit zurückgekehrt. Die Vertiefung ist sowohl eine Übung in Demut als auch in Ausdauer.

Es ist Demut, weil die Rückkehr zu den Quellen uns erkennen lässt, dass es etwas Größeres gibt als unsere Emotionen, unsere Gefühle oder festgefahrene Muster. Es gibt etwas, das jenseits von uns, unserer Gegenwart und unseren aktuellen Angelegenheiten liegt. Das ist der Widerstand gegen eine vereinfachende Kultur, die sich an Konflikte gewöhnt und nur auf das Ego ausgerichtet ist. Während wir zu unseren spirituellen Quellen zurückgekehrt sind, haben wir einen Horizont entdeckt, der uns verbindet und uns Hoffnung gibt. Selbst in den dunkelsten Momenten erblicken wir ein Licht.
Gemeinsam wollen wir heute Abend nach Dialog und Diskussion einen lauten Schrei des Protests erheben: einen Schrei des Widerstands angesichts von Krieg und so viel Gewalt. Es bedeutet, vor der Welt im Namen der Toten (die meisten von ihnen unschuldige Opfer) zu protestieren. Wir protestieren gegen all diese Gewalt, gegen all diesen Hass, der unserem Willen, in Frieden zu leben, fremd ist, dem Willen so vieler Männer und Frauen. NEIN! Der Krieg ist nicht unsere Zukunft, er darf nicht unser Schicksal sein!
Die Niederlage der militärischen Logik in den militarisierten internationalen Beziehungen drängt uns zur Aussage, dass es einen Horizont gibt, den wir allein nicht erblicken können, das gelingt nur gemeinsam. Nehmen wir ihn in den Bick und tun wir das gemeinsam. Wir müssen gerade in den schwierigen Momenten der Geschichte zusammen sein, um jenen Horizont zu erkennen, der den Hass, die Gewalt und den Krieg überwindet. Deshalb sind wir dankbar für diese Tage, die uns erleuchtet haben: Wir haben wieder einen Geist des Widerstands empfangen, der sich mit dem der vorangegangenen Generationen verbindet, mit denen, die hier in Europa während und nach der Katastrophe des Weltkriegs Wege des Friedens gesucht haben. Sie haben uns ein Vermächtnis hinterlassen, das klar und in einfachen Worten formuliert ist: Nie wieder Krieg!
Hier haben wir gemeinsam über die Rückkehr zum Frieden in diesen Zeiten des Krieges nachgedacht. Gemeinsam können wir eine schöpferische Phantasie entwickeln, die die dunklen Wolken der Gegenwart vertreibt und die Zukunft vorbereitet. Wir haben die Gefahr erkannt, leichtsinnig am Rande des Abgrunds des Krieges zu tanzen, der die Welt einem unkontrollierbaren Risiko aussetzt. 
Ich sehe hier viele junge Menschen. Wir wollen das Erbe des Traums vom Frieden von einer Generation zur nächsten weitergeben, um eine friedlichere Welt zu schaffen: Die jüngeren Generationen müssen dieses Geschenk von denen erhalten, die vor ihnen unterwegs waren. Wir wollen dieses Netzwerk der Solidarität zwischen den Generationen stärken und niemals unterbrechen! Der Traum vom Frieden darf nicht auf eine einzige Generation beschränkt werden. Es gibt bereits einen Weg aus dem permanenten Krieg: Er wurde von denen vorgezeichnet, die vor uns kamen und die von einer gerechteren Welt für ihre Kinder auf allen Kontinenten träumten. In der dunklen Nacht sind unsere Ältesten für uns Beispiele für eine Hoffnung, die gegen alle Hoffnung gehegt wurde. Ihre Hoffnung war der Frieden. Sie ist heute Abend auch die unsere.
Wir müssen den Mut haben, den Frieden zu wagen. Bei diesem Treffen haben sich alle Sprachen und alle Kulturen geäußert, sich gegenseitig verstanden und entdeckt, dass es tief im Inneren eine allen gemeinsame unruhige Sehnsucht nach Frieden gibt. Eine Unruhe, die nach mehr Dialog auf allen Ebenen ruft. Wir haben einander zugehört und verstanden: Wir müssen uns, angefangen bei uns selbst, aus festgefahrenen Positionen befreien. Auch wenn es Krieg gibt, ist es notwendig, heute über den Frieden von morgen nachzudenken. Das ist eine Arbeit der Weisheit. Der Friede ist unser Sieg: nicht ein Sieg gegen andere, sondern mit anderen.
Die bekannte französische Anthropologin Germaine Tillion sagte, dass eine „Politik des Gesprächs mit dem Anderen“ notwendig ist. Der Weg des Gesprächs und des Dialogs mit dem Anderen führt früher oder später sicher zum Frieden. Das ist es, was wir in diesen Tagen erlebt haben: das Gespräch, Ideen für eine Utopie des Friedens entwickeln, die stärker ist als alle menschliche Logik und alles Wissen.
Danke, Paris! Von dieser Stadt aus, in der alle Traditionen sich eingebracht haben, ohne dass sich eine der anderen aufdrängte, sehen wir heute besser, dass Frieden möglich ist.