11 September 2023 09:30 | Haus der EKD

Rede von Karl Hinrich Manzke



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Karl Hinrich Manzke

Evangelisch-lutherischer Bischof, Deutschland
 biografie
1. Ich gestehe, dass ich nicht gerne über das Beten rede. Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern, rät Jesus einmal seinen Freunden. Es gibt jenes Gebetsgeplapper. Aber auch das Sprechen über das Gebet kann die Leichtfertigkeit und Plattheit haben, vor der Jesus warnt. 
 
Noch aus einem anderen Grund zögere ich bei der Rede über das Gebet. Man kann es schwer rechtfertigen und erklären, weil es so unnütz ist. Es hat keinen Zweck außer ihm selbst. Dass ich arbeite, kann ich erklären. Denn Arbeit hat ein nützliches Produkt. Auch die Arbeit für den Frieden. Gebet aber hat kein Produkt. Angelus Silesius hat geschrieben: „Die Rose ist ohne warum, sie blüht, weil sie blüht. Sie achtet nicht auf sich selbst, fragt nicht, ob man sie siehet.“ So könnte man auch über das Gebet sprechen.
 
 
2. In einer gewissen Allgemeinheit unterscheide ich zwei Arten von Sprache. Die eine Sprache enthält hauptsächlich eine Information. Die andere enthält hauptsächlich den Sprechenden selber. „Der Zug fährt um 13.30 Uhr von Hamburg nach München.“ Das ist eine Information. Sie ist deutlich, man kann sie nachweisen. Man kann sagen, ob der Inhalt falsch oder richtig ist. Sie ist für alle verstehbar. Eine ganz andere Sprache ist die der Liebe, der Poesie und des Gebetes. 
 
„Der Herr ist deine Zuversicht, der Höchste ist deine Zuflucht. Es wird dir kein Übel begegnen und keine Plage wird sich deinem Haus nahen. Denn er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen.“ Diese Sprache liest nicht am Leben ab, was zu sagen ist. Die Kraft und das Feuer dieses Liedes vom guten Ausgang der Dinge entsteht gerade dort, wo die Übel und das Böse auf dem Wege sichtbar liegen und wo die Engel, die die Wege behüten sollen, nirgends zu sehen sind.
Beten heißt, sich mitteilen und das eigene Leben zur Sprache bringen. 
Beten heißt, der Hoffnung, die noch nicht gestorben ist, einen Ausdruck zu geben. Beten ist die Selbstauslieferung des Menschen an diesen geheimnisvollen Gott der Gnade.
 
 
3. Man hat es bisweilen als Selbstgespräch beschrieben, als einen Akt psychischer Selbstreinigung – das Gebet. Beten ist die Selbstauslieferung des Menschen an den geheimnisvollen Gott der Gnade. Es drückt aus, dass man sich selber nicht genug ist. Alle Selbstbeharrung und Selbstgenügsamkeit schwindet in der Liebe – und auch im Gebet. Sich im Gebet ausliefern an die Gnade Gottes, ist also kein Akt schmachvoller Unterwürfigkeit, sondern ein Akt der Liebe, die weiß, dass sie nicht in sich selbst geborgen ist.
In dieser Hinsicht ist das Gebet die höchste Form von Passivität. In unserem gegenwärtigen Sprachgebrauch ist Aktivität gut und Passivität schlecht. Eine Aktivität, eine Arbeit für den Frieden, die die Kunst der Passivität nicht kennt, wird bedenkenlos, ziellos und erbarmungslos. Passivität ist die Fähigkeit, sich selber aus der Hand zu geben. Die Freiheit vom Zwang, Garant des eigenen Lebens zu sein, ist die Quelle der Gewaltlosigkeit. Insofern ist die Arbeit für den Frieden in Zeiten des Krieges auch das Eingeständnis, den Frieden nicht einfach herstellen und machen zu können. 
 
 
4. Das Nichteinverständnis ist die andere große Form des Gebetes. Darunter fasse ich das Bittgebet, das Klagegebet und den Streit mit Gott. Ich vermute, dass nur der leidenschaftlich klagen, revoltieren und hadern kann, der auch loben kann. Beide haben eine Art erotisches Verhältnis zum Leben zur Voraussetzung – und bei beiden ist nicht gleichgültig, was mit dem Leben geschieht. Sich vor Gott zur Sprache zu bringen, heißt auch, sich als Bittenden und als Klagenden zur Sprache bringen.
 
 
Es ist ein Ort der Klage und der Wut, die wir vor Gott ausbreiten, dass das gemeinsame Band des Gebetes mit den orthodoxen Christenmenschen im Moment nicht stark genug zu sein scheint, gemeinsam gegen den Krieg und die Aggression aufzustehen. Das ist sehr verstörend!
 
Aus dem Judentum lernen wir, dass am Ende die große Ergebung in dem dunklen Willen Gottes steht. Und es mag jemand Gott gutheißen, trotz all der Tode, die gestorben werden – im Leben selbst und an dessen Ende.
 
Aber vorher steht die Klage und der Schrei danach, dass das gemeinsame Gebet der Christenmenschen stärker ist als nationale Verblendung und Aggression.
 
 
5. Wie lernt man eigentlich beten?
Beten ist keine Kunst, sondern ein Handwerk. Der durchschnittliche Mensch kann es lernen, wie er lesen und schreiben und kochen lernen kann. Es gehört dazu keine besondere angeborene Frömmigkeit. Wohl muss man eine gewisse Aufmerksamkeit für das Leben haben, eine gewisse Leidenschaftlichkeit. Die Fähigkeit, zu wünschen und die Fähigkeit, Dinge unerträglich zu finden. Man kann beten, wenn man weiß, wofür man beten soll.
 
Dann erfordert das Gebet einige trockene Tugenden:
Regelmäßigkeit, Pünktlichkeit, Ausdauer. Ein flammendes und alles wegzehrendes Gefühl ist nicht erfordert. Im Gegenteil, es ist einem ja meistens unwohl in der Mitte flammender Beter. Beten ist ein Stück Arbeit. „Ich habe heute viel zu tun, deshalb muss ich viel beten.“ Um mein Tun davon zu befreien, alles jetzt und sofort erreichen zu müssen – und um mein Beten nicht zu einer frommen, nur auf mich bezogenen Übung zu machen.