Heinrich Bedford-Strohm
Evangelisch-lutherischer Landesbischof, Moderator des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK)biografie
Markus 58,6-12
Ist nicht das ein Fasten, wie ich es wünsche: die Fesseln des Unrechts zu lösen, die Stricke des Jochs zu entfernen, Unterdrückte freizulassen, jedes Joch zu zerbrechen?
Bedeutet es nicht, dem Hungrigen dein Brot zu brechen, obdachlose Arme ins Haus aufzunehmen, wenn du einen Nackten siehst, ihn zu bekleiden und dich deiner Verwandtschaft nicht zu entziehen?
Dann wird dein Licht hervorbrechen wie das Morgenrot und deine Heilung wird schnell gedeihen. Deine Gerechtigkeit geht dir voran, die Herrlichkeit des HERRN folgt dir nach.
Wenn du dann rufst, wird der HERR dir Antwort geben, und wenn du um Hilfe schreist, wird er sagen: Hier bin ich. Wenn du Unterjochung aus deiner Mitte entfernst, auf keinen mit dem Finger zeigst und niemandem übel nachredest, den Hungrigen stärkst und den Gebeugten satt machst, dann geht im Dunkel dein Licht auf und deine Finsternis wird hell wie der Mittag.
Der HERR wird dich immer führen, auch im dürren Land macht er dich satt und stärkt deine Glieder. Du gleichst einem bewässerten Garten, einer Quelle, deren Wasser nicht trügt.
Die Deinen bauen uralte Trümmerstätten wieder auf, die Grundmauern vergangener Generationen stellst du wieder her. Man nennt dich Maurer, der Risse schließt, der Pfade zum Bleiben wiederherstellt.
Liebe Schwestern und Brüder!
„Und es soll durch dich wiederaufgebaut werden, was lange wüst gelegen hat, und du wirst wieder aufrichten, was vorzeiten gegründet ward." (Jesaja 58,12, Luther 2017; englische Bibelzitate des RV nach der English Standard Version (ESV) zitiert – Achtung leichte Textunterschiede)
Welch ein Trost ist es, diese Worte des Propheten Jesaja zu hören, heute, in einer verwundeten Welt. In einer Welt verwundet durch die Pandemie. In einer Welt, die sich nach Heilung sehnt.
Unsere Seelen sind verwirrt. All die physischen Zeichen der Verbundenheit – einander die Hände zu reichen, vertraut miteinander zu reden, ohne Maske, sich zu umarmen,
(embracing each other, giving each other hugs – ist im Englischen sehr differenziert, aber im Deutschen beides Mal eine Umarmung oder ein Drücken, deshalb nur einmal übersetzt)
- all diese Zeichen körperlicher Nähe, die bisher Zeichen der Liebe waren, sind nun zum Feind der Liebe geworden, sie sind zur Gefahr füreinander geworden, und können zu einer Quelle des Leids werden. Wie können unsere Seelen diese plötzliche Verkehrung grundlegender Zeichen menschlicher Nähe verstehen?
„Und es soll durch dich wiederaufgebaut werden, was lange wüst gelegen hat, und du wirst wiederaufrichten, was vorzeiten gegründet ward."
Wir brauchen dringend diese stärkende Zusage in all der Erschöpfung, die wir verspüren. Fürchtet Euch nicht! – spricht Gott. Ich werde Euch nicht allein lassen. Ich werde immer bei Euch sein. Und Euch wird Heilung widerfahren. „Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten." (Jesaja 58,8, Luther 2017)
Wie können wir als Kirchen Boten und Kundschafter von Gottes Heilung sein? Wie können wir Zeichen des Friedens und der Geschwisterlichkeit sein? Wie können wir "Tutti Fratelli" (Alle Brüder) sein?
(Anmerkung: Fratelli tutti ist eine Enzyklika von Papst Franziskus über die „Geschwisterlichkeit und die soziale Freundschaft." Der Titel geht auf ein Zitat Franz von Assisis zurück. Das Dokument wurde am 3. Oktober 2020 anlässlich des Besuchs von Papst Franziskus am Grab seines Namenspatrons unterzeichnet. Am darauffolgenden Tag, dem Festtag des Heiligen, wurde es veröffentlicht.)
Durch den Dreiklang von Beten, Gerechtigkeit üben und eins werden!
Durch Beten:
Wir reden mit Gott als Menschen mit unterschiedlichen konfessionellen und religiösen Hintergründen. Vor Gott bringen wir unser Leid, unsere Fehler, unsere unbeantworteten Fragen, unsere Hoffnung. Und wir hören auf Gott. Wir hören auf Gott, um Klarheit, Richtung und Orientierung zu bekommen für unseren Weg.
Durch das Üben von Gerechtigkeit
Es gibt kein Beten. Es gibt kein Fasten ohne das Tun des Gerechten, so lesen wir beim Propheten Jesaja im 58. Kapitel. Und von Jesus hören wir: "Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan." (Matthäus 25,40; Luther 2017).
Was, wenn es wirklich Christus selbst ist, der auf Hilfe wartet, für ein würdevolles Leben in den überfluteten Zelten der Flüchtlingslager auf den griechischen Inseln? Was, wenn es wirklich Christus selbst ist, der droht im Mittelmehr zu ertrinken, weil Europa nicht hilft und sogar zivile Rettungsboote an der Hilfe hindert? Was, wenn es wirklich Christus selbst ist, der uns in einem Kind in Mozambique begegnet, das nicht genug zu essen hat, um zu überleben?
Diese Fragen zu stellen und sich anrühren zu lassen von der Not Anderer, ist nicht der Katalysator für ein schlechtes Gewissen. Es ist das Gegenteil: Es ist der Türöffner für ein erfülltes Leben. Es ist der Weg zu Frieden und Geschwisterlichkeit. Das ist die Quelle der Heilung, denn „dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten." (Jesaja 58,8, Luther 2017)
Die Gemeinschaft von St. Egidio ist dafür das beste Beispiel. Eine Gemeinschaft von engagierten Menschen, die nicht Entsagung und Verzicht ausstrahlen, sondern Fröhlichkeit und Freude am Leben. Die Gemeinschaft von St. Egidio lebt aus der tiefen Gewissheit, dass Leben nur miteinander und nicht gegeneinander gelingen kann. Sie lebt mit der tiefen Überzeugung, dass in dieser Geschwisterlichkeit Christus selbst präsent ist.
Beten und Gerechtigkeit üben – das sind die ersten beiden Teile des Dreiklangs, um Salz der Erde und Licht der Welt zu werden. Und das Dritte ist, eins zu werden als Kirche.
„Ist Christus etwa zerteilt?" fragt Paulus im 1. Korintherbrief, Kapitel 1 angesichts von Spaltungen innerhalb der Gemeinde. Und die Antwort kennen wir alle: Christus ist eins! Wie können wir also zufrieden sein mit unseren Trennungen?
Leidenschaft für die Einheit der Kirche ist nicht irgendeine Sentimentalität bestimmter kirchlicher Interessensgruppen. Diese Leidenschaft für die Einheit ist Teil der DNA jeder Kirche. Und ich ergänze sehr persönlich: Während meiner Lebenszeit eines Tages diese Einheit in der gemeinsamen Feier des Abendmahls zu erfahren, ist mein ganz persönlicher Traum!
Friede und Gerechtigkeit werden sich umarmen. Und keine Pandemie werden sie stoppen. Ja, „…dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag. …und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt." (Jesaja 58, 10+11, in Auszügen, Luther 2017).
Wir werden heil!
AMEN