11 Septembre 2017 09:30 | Petrikirche

Rede von Karl-Adolf Schneider



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Liebe Freunde des Friedens,
 
Als Sohn des Evangelischen Pfarrers Paul Schneider, der mutig und kompromis-slos für die Friedensbotschaft des Jesus aus Nazareth eingetreten ist, wurde ich von der Gemeinschaft Sant Egidio zu diesem Kongress eingeladen. Dafür danke ich herzlich.
 
Mein Vater wurde im Juli 1939 mit nur 42 Jahren im Konzentrationslager Bu-chenwald bei Weimar, der Stadt Goethes und Schillers ermordet, weil er sich dem Unrecht und der Gewalt des totalitären Staates nicht beugen wollte.  – welch eine Ironie der Geschichte! Auf der einen Seite die Stadt der Humanität und des Geistes und auf der anderen Seite die brutale Gewalt eines KZ
 
Selbst dort, an dem Ort der schwersten Bedrängnis, unter Folter und Qual hör-te er nicht auf, seinen Mitgefangenen aus seinem Zellenfenster heraus Trost und Hoffnung durch Bibelworte und Ermutigungen zuzurufen. Er wird deshalb auch „Der Prediger von Buchenwald“ genannt.
 
Das geschah unmittelbar vor dem 2.Weltkrieg. Was hätte er wohl zu dem Über-fall Hitlers auf Polen gesagt? Sicher hätte er auch da nicht geschwiegen. Ge-schwiegen hätte er auch nicht zu der Reichspogromnacht am 9. November 1938, als das Unrecht an den jüdischen Mitbürgern geschah. Das hat er aber schon nicht mehr in Freiheit erlebt. Aber dort in Buchenwald, wo unmittelbar nach diesem Pogrom fast 10 000 Juden in der Nähe seines Arrestbaues einge-pfercht wurden, hat mein Vater laut die Freiheit für sie gefordert.
 
Gegen vergleichsweise harmlose Verlautbarungen in der Presse, in der von Ernst Röhm, dem Stabschef der SA, die Christliche Moral verspottet wurde, se-tzte er sich zur Wehr. Als Josef Goebbels, der Propagandaminister Hitlers, in einem Aufsatz in die gleiche Kerbe schlug, nahm er dazu in einer Predigt im Ja-nuar 1934 Stellung. Das war damals in dem noch jungen Nationalsozialistischen Staat schon zu viel Mut. Von der Evangelischen Kirche im Rheinland, zu der er gehörte, mit einem Nationalsozialisten an ihrer Spitze, wurde er strafversetzt. Er war nun der Pfarrer von Dickenschied und Womrath, zwei kleinen Dörfern auf dem dünn besiedelten Hunsrück. 
 
Dort kam es schon bald in dem Nachbarstädtchen zu einem Zusammenstoß mit einem führenden Parteigenossen. Der versetzte einen Hitlerjungen an dessen Grab in den „Himmlischen Sturm Horst Wessels“. Mein Vater als Pfarrer und Verantwortlicher für die reine Lehre protestierte mit den Worten: „Ich weiß nicht, ob es in der Ewigkeit einen Sturm Horst Wessel gibt, aber Gott, der Herr, segne deinen Ausgang aus der Zeit und deinen Eingang in die Ewigkeit.“ Horst Wessel war ein ermordeter Sturmführer in der SA und der Verfasser der Nazi-hymne „die Fahne hoch…“. Dieser Protest brachte ihm die erste Haft von 7 Ta-gen im Gefängnis des Kreisstädtchens ein.
 
Er war Pfarrer der „Bekennenden Kirche“, einer Gruppierung Evangelischer Christen innerhalb der offiziellen Evangelischen Kirche, die sich ausschließlich am Evangelium orientierte. Sie grenzte sich gegen zu erwartende staatliche Einwirkungen ab. Darum wurde jeder seiner Schritte  von der Geheimen Staats-Polizei beobachtet. 
 
Auch seine Gemeinden auf dem Hunsrück hielten sich zu der „Bekennenden Kirche“. 
 
Wegen rein innerkirchlichen Maßnahmen, die die Leitungsgremien der Ge-meinden und er anstrengten, kam er schließlich in das Ge-Sta-Po-Gefängnis nach Koblenz. Ohne richterlichen Beschluss wurde er aus dem Rheinland au-sgewiesen. Er konnte diese unrechtmäßige Anordnung nicht befolgen. Seine Gemeinden baten ihn dringend um Rückkehr. Er kehrte in seine Gemeinde zu-rück und predigte dort. Die Folge war: Er wurde wieder verhaftet. Und weil er die staatliche Ausweisung aus dem Rheinland und damit die Trennung von sei-nen Gemeinden konsequent ablehnte, wurde er am 27. November 1937 ins KZ – Buchenwald bei Weimar eingeliefert.
 
In Buchenwald musste er hart arbeiten. Als er sich der Hakenkreuzfahne an Hit-lers Geburtstag am 20. April 1938 nicht beugte, kam er 15 Monate lang bis zu seinem Tod in Einzelhaft. Seinem Auftrag getreu ließ er nicht davon ab, Christus zu bezeugen. Am 18. Juli 1939  wurde er nach langen, schweren Misshandlun-gen vom Lagerarzt mit überdosierten Strophanthin - Spritzen umgebracht.
 
Innerhalb von 24 Stunden konnte der Körper meines Vaters in Buchenwald a-bgeholt werden. Dies war eine absolute Ausnahme. Mein Vater, der seinen Gemeinden treu bleiben wollte, kehrte so doch wieder in diese Gemeinden heim.
 
Zur Beerdigung reisten Christen aus ganz Deutschland auf den Hunsrück. 200 Pfarrer im Talar und eine große ökumenischen Trauergemeinde füllten das kleine Dorf und den Friedhof. Auch die geheime Staatspolizei war da.  Die Ma-chthaber erschraken sehr, weil sie ein solches Aufsehen wegen eines einfachen Dorfpfarrers nicht erwartet hatten. Die Rheinische Kirchenleitung bedauert so-gar schriftlich im Einklang mit der GeStaPo: „dass die Erlaubnis einer solchen aufsehenerregenden Beerdigungsfeier, die im Ausland nicht unbemerkt geblie-ben ist…….und das Vorhandensein  der Begräbnisstätte in Dickenschied die E-rinnerung an Pfarrer Schneider immer wachalten werde.“
 
Es war eine mächtige Demonstration. Sie zeigte den Sieg des Lebens in Christo über das Unrecht und den Tod in der Welt.
 
Was ist nun das Erbe dieses Paul Schneider, was hat er uns heute zu sagen? In einer Zeit, wo gerade wieder begonnen wird, die Rüstungsspirale neu anzukur-beln, wo Krieg, große Not und Elend die Menschen in Flüchtlingslager drängt, und die Menschen in ihrer Verzweiflung unsichere Schlauchboote besteigen? 
 
Er hätte sicher nicht geschwiegen. Wie seine Frau, meine Mutter, hätte er sich sehr wahrscheinlich noch im hohen Alter an Friedensmärschen beteiligt. Er würde, wäre er heute im Amt, sicher öffentlich gegen die Lagerung von bis zu 20 Atomsprengköpfen protestieren. Sie werden in einem Fliegerhorst der deu-tschen Bundeswehr bei Büchel in der Eifel von amerikanischen Sicherheitskräf-ten bewacht. Jede dieser 20 Atombomben hat eine vielfache Sprengwirkung der Hiroshima-Bombe. Aber es gibt dort nur das deutsche Luftwaffengeschwa-der 33, das mit ihren Tornados die Bomben ins Ziel bringen müsste. Ist das von unserer deutschen Verfassung gedeckt?
 
Mein Vater fühlte sich schon  in den 1920er Jahren von der Reformbewegung angesprochen. Würde er heute nicht gegen den Hunger in der Welt durch un-seren unbändigen Fleischkonsum und unseren Luxus ein entschiedenes NEIN sagen?
 
Ich glaube es. Ich rufe dazu auf, immer und überall mutig NEIN zu sagen, wo immer Gottes Schöpfung zerstört oder auch nur gestört wird.
 
Noch eines: Mitten im „Kalten Krieg“ als die Blöcke wie Felsen sich unversö-hnlich gegenüberstanden, auf der einen Seite der Ostblock auf der anderen Sei-te die sogenannte „Freie Welt“, dort der Warschauer Pakt, hier die Nato, fand 1954 der Evangelische Kirchentag in Leipzig statt. Im kommunistisch beher-rschten Teil des geteilten Deutschland feierten die Evangelischen Christen un-ter dem Motto „Seid fröhlich in Hoffnung , geduldig in Trübsal, haltet an am Gebet“ nach Römer 12,2 statt. Es war der letzte gesamtdeutsche Evangelische Kirchentag bis zur Wiedervereinigung. 
 
Meine Mutter war zu diesem Kirchentag gereist, in der Hoffnung, Buchenwald besuchen zu können. Sie nahm Kontakt zur damaligen „Ost-CDU“ auf, wurde sehr zuvorkommend behandelt, und von offizieller Seite bis in die enge Zelle gebracht, in der mein Vater so lange gelitten hatte. Als sie die kahlen Wände sah, sagte sie: „Da fehlt doch noch was, mein Mann war Pfarrer, darauf sollte ein Bibelwort hinweisen.“ - Meiner Mutter fiel spontan das Wort aus 2. Korin-ther 5,20 ein „So sind wir nun Botschafter an Christi Statt, denn Gott ver-mahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt: Lasset euch versöhnen mit Gott.“  Kurz darauf haben die atheistischen DDR-Behörden dieses biblische Wort der Versöhnung dort angebracht. Über eine ganze Wand sind in eine Ei-chentafel diese Worte eingeschnitten. Bis heute werden die Besucher darauf hingewiesen: Wer mit Gott versöhnt ist, ist auch mit sich selbst versöhnt. Wer mit sich selbst versöhnt ist, kann dem Nächsten, ja auch dem Gegner nichts Bö-ses wollen. So ist dieses  Wort der Versöhnung zwischen zwei feindlichen Wel-ten und zwischen den Religionen, in einer Zelle der Folter und Qual geschrie-ben, bis heute die Mahnung zum Frieden.